Beim Universum bestellt? Nein. Klarheit geschaffen
Veröffentlicht am: 30.11.2025 von Jan Göritz
Veröffentlicht am: 30.11.2025 von Jan Göritz
Jüngst saß mir ein Klient gegenüber, der seit längerer Zeit berufliche Schwierigkeiten hatte und nicht mehr daran geglaubt hat, einen Job zu finden, der ihn voll und ganz zufriedenstimmt. Dazu gehörte für ihn eine sinnhafte Tätigkeit, ein gutes Einkommen, nette Kolleginnen und Kollegen und ein Chef, der die Belegschaft wertschätzt.
Dieser Klient neigte dazu, eher oberflächlich und „schnellschnell“ zu agieren, was dazu führte, dass seine „Wunschliste“ eben auch nur oberflächlich war. Deshalb gab ich ihm die Aufgabe, eine Liste anzufertigen, die so detailliert wie nur möglich war.
Wir haben uns dann aufgrund verschiedener Umstände ungefähr drei Monate nicht gesehen, dafür ist er dann zur letzten Sitzung freudestrahlend erschienen: „Herr Göritz, glauben Sie es, oder glauben Sie es nicht, aber ich habe einen Listen-Job!“
Ich war etwas perplex, hatte ich doch über die Zeit die Aufgabe nicht mehr so präsent im Kopf und Listen-Job ließ mich eher an Listen-Hund denken, was nicht so positive Gefühle hervorrief. Er grinste, ich war misstrauisch.
„Listen-Job?“, fragte ich, „Was genau meinen Sie damit?“
„Na, der Job von der Liste! Ich hab doch aufgeschrieben, was ich will… Und genau so einen hab ich jetzt.“
Er holte sein Handy raus, suchte in seinen Notizen und legte mir das Ding fast triumphierend auf den Tisch. Ein Foto der Liste. Drei Monate alt und leicht chaotisch. Einige Stellen waren gestrichen, dafür etliche Ergänzungen dazwischen gequetscht. Und dann die Stellenausschreibung daneben, die er sorgfältig markiert hatte.
Die Parallelen waren tatsächlich erstaunlich:
Themen, die ihn interessieren
Arbeitszeiten
Gehaltsrahmen
Teamgröße
Unternehmenskultur, soweit man das in einem Text behaupten kann
„Das ist doch verrückt, oder?“, fragte er. „Als hätte mir das Universum den passenden Job geliefert.“
Ich schaute erst auf die Texte, dann auf ihn. Nicht das Universum hatte sich in den drei Monaten verändert, nein, er hatte sich verändert.
„Erzählen Sie mal, wie Sie an den Job gekommen sind“, bat ich ihn.
Und da lag der eigentliche Teil der Geschichte. Er hatte:
mehrere Angebote abgelehnt, die „eigentlich ganz okay“ gewesen wären
sich bei Stellen beworben, die er sich vorher „nicht zugetraut“ hätte
im Vorstellungsgespräch ziemlich klar gesagt, was er nicht will
bei der Gehaltsverhandlung zum ersten Mal nicht sofort nachgegeben
Ich möchte dem Universum wirklich nicht Unrecht tun, aber hier sehe ich eher astreines konsequentes Verhalten, das aus einer hart erarbeiteten inneren Klarheit resultiert. Die Liste war also nicht magisch. Sie war brutal ehrlich.
Denn darin stand, was er schon jahrelang behauptet hatte zu wollen, nur diesmal konkret, also überprüfbar.
„Sinnvolle Tätigkeit“ verwandelte sich auf dem Papier in:
Ich will nicht mehr das Gefühl haben, Menschen über den Tisch zu ziehen.
Ich will nicht mehr für etwas arbeiten, das ich moralisch fragwürdig finde.
„Gutes Einkommen“ verwandelte sich
„Nette Kolleginnen und Kollegen“ wurde zu:
Ich möchte nicht mehr der Blitzableiter für die Stimmung im Team sein.
Ich will nicht mehr der sein, der alle auffängt.
Und beim „Chef, der wertschätzt“ stand ziemlich weit unten:
Ich brauche jemanden, der mir klare Grenzen setzt, damit ich mich nicht kaputt arbeite
Das ist nämlich der Teil, den viele übersehen. Man sagt, man wünscht sich Wertschätzung, meint aber eigentlich: „Jemand, der mich vor mir selbst schützt.“ Und dann hofft man, das Universum möge bitte einen Chef liefern, der gleichzeitig maximal laissez-faire und streng genug ist. Das kann nichts werden.
„Also glauben Sie nicht daran, dass man beim Universum bestellt?“, fragte er.
„Nein, aber ich glaube daran, dass Menschen erst merken, was sie tun, wenn sie es aufschreiben“, antwortete ich. „Listen haben einen unschönen Nebeneffekt: Sie machen sichtbar, wo Sie sich selbst belügen.“
Zum Beispiel:
„Ich will viel Freiheit“ – aber keine Verantwortung, keine Unsicherheit, keine Konflikte.
„Ich will ein hohes Gehalt“ – aber keine sichtbare Leistung, kein Widerspruch, kein Risiko.
„Ich will ein freundliches Team“ – aber ich selbst werde passiv-aggressiv, wenn mich jemand kritisiert.
Auf Papier passt das alles. Im echten Leben wird es eng. Bei ihm war die Liste am Ende weniger eine Bestellkarte ans Universum als eine Konfrontation mit der Frage: Bin ich bereit, den Preis für das zu zahlen, was ich behaupte zu wollen?
In den drei Monaten, in denen wir uns nicht gesehen haben, ist nichts Spektakuläres passiert. Keine Eingebung, keine Erleuchtung, keine geheimnisvolle Fügung. Er hat sich nur immer wieder außerhalb seiner Komfortzone bewegt – unspektakulär und unmagisch:
Er sagte einem Personaler ab, obwohl der nett war. Aber die Stelle passte nicht.
Er ignorierte einen „Traumjob“, weil er merkte, dass „junges dynamisches Team“ in Wirklichkeit Dauerstress bedeutete.
Er legte in einem Gespräch zum ersten Mal eine Gehaltsvorstellung auf den Tisch, bei der ihm selbst für einen kurzen Moment vor Aufregung schlecht wurde.
Da hatte kein Universum die Finger im Spiel. Er hatte seine brutal ehrliche Liste und seinen Mut, die eigene Angst zugunsten der Loyalität mit sich selbst zu überwinden. An dieser Liste wollte und musste er sich messen lassen.
Und einer der Nachteile solcher Klarheitist, dass man kann hinterher schwerer behaupten, man hätte es „nicht gewusst“.
Das Konzept, beim Universum zu bestellen, ist sehr bequem. Es verschiebt die Verantwortung von einem selbst weg nach außen und liefert gleichzeitig ein zweifelhaftes Gefühl von Einfluss: „Ich manifestiere mir einen Job.“
Das heißt übersetzt oft:
„Ich habe große Angst, die Verantwortung für Veränderungen in meinem Leben zu übernehmen. Aber wenn ich die Verantwortung ans Universum auslagere, dann trage ich keine Schuld, falls etwas nicht so gut funktioniert.“
Die Liste, so wie er sie genutzt hat, machte genau das Gegenteil:
Sie nahm ihm die Ausreden.
Sie machte deutlich, wo er jahrelang Kompromisse verkauft hatte als „man kann halt nicht alles haben“.
Sie zeigte seine inneren Widersprüche. Gleichzeitig Sicherheit und Abenteuer. Maximalen Lohn und minimale Anstrengung. Harmonie und absolute Ehrlichkeit
Er hat alles schonungslos sichtbar gemacht und konnte erkennen, wo er sich konkret für einen Weg entscheiden musste, weil sich vorher in Widersprüchen verzettelt hatte.
„Und wenn es jetzt doch nur Zufall und ein ganz klein bißchen Glück war?“, fragte er irgendwann. „Also dass es so gepasst hat?“
„Natürlich war auch Glück dabei“, sagte ich. „Dass genau diese Stelle zu genau diesem Zeitpunkt frei war, dass Sie genau dann den Mut hatten, sich zu bewerben – das war alles nicht planbar.“
Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort: „Aber ohne Ihre Liste wäre der Job bei Ihnen vielleicht nur in die Kategorie ‚ganz ok‘ gerutscht. Sie hätten gar nicht bemerkt – nicht bemerken können – dass dieser Job genau Ihr Job ist. Natürlich verändert Klarheit nicht die Welt. Aber sie verändert Ihren Blick auf die Welt. Und damit auch, worauf Sie reagieren. Wann Sie „Ja“ sagen und wann Sie gehen.“
Dass Menschen das gern mit „Universum“ verwechseln, ist verständlich. Es ist angenehmer, sich auserwählt zu fühlen, als sich einzugestehen, dass man bisher an falschen Stellen Ja gesagt hat.
Das Gefährliche an solchen Listen ist übrigens nicht, dass sie nicht funktionieren, sondern, dass sie manchmal funktionieren und Sie daraus die falschen Schlüsse ziehen könnten. „Ich habe mir das manifestiert“ kann sehr schnell kippen in:
„Wenn ich keinen passenden Job finde, habe ich falsch gewünscht.“
„Wenn ich krank werde, habe ich wohl die falsche Energie gehabt.“
„Wenn mich jemand verlässt, war ich nicht positiv genug.“
Machen Sie sich nicht selbst zum Opfer und verurteilen sich für vermeintliche Wunsch-Fehler. Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Leben, schaffen Sie Klarheit und tun Sie, was getan werden muss.
Eine Liste, die ernst gemeint ist, kann etwas anderes tun: Sie zeigt, was Ihnen wichtig ist – und gleichzeitig, worauf Sie keinen Einfluss haben.
Sie zwingt zu Entscheidungen: Was ist verhandelbar? Was ist Wunschdenken? Was ist mir so wichtig, dass ich bereit bin, dafür etwas anderes zu verlieren?
Die Antworten darauf sind selten 100%-Antworten. Häufig sind sie sogar eine Konfrontation mit Ambivalenzen. Und da gibt es selten schnelle oder gar Social-Media-taugliche Lösungen.
Der Klient sitzt also vor mir, mit seinem Listen-Job. Er ist happy, euphorisch, erleichtert. Ich freue mich mit ihm. Und gleichzeitig weiß ich, dass das eigentliche Experiment erst jetzt beginnt. Denn die Liste endet an der Praxistür.
Danach trifft er auf echte Menschen, mit eigenen Listen im Kopf. Auf Strukturen, in denen seine Wünsche wahrscheinlich nur begrenzt jemanden interessieren. Auf alte Muster, die in ihm darauf warten, wieder aktiviert zu werden.
Vielleicht wird er nach einem Jahr feststellen, dass auch dieser Job ihn nicht „voll und ganz zufrieden“ macht. Vielleicht wird er merken, dass ein Teil seiner Unzufriedenheit weniger mit Arbeitgebern als mit seiner Art zu leben zu tun hat. Vielleicht wird er dann wieder eine Liste schreiben. Oder das Universum beschimpfen. Oder beides.
Klarheit schützt nicht vor Enttäuschung, aber sie macht es uns schwerer, uns selbst zu belügen.
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Klarheit entsteht, wenn Sie vage Wünsche in überprüfbare Aussagen übersetzen. Statt „Ich will glücklicher sein“ fragen Sie sich: Was genau müsste anders sein? Was bin ich bereit dafür aufzugeben? Was sage ich, das ich will, aber sabotiere es gleichzeitig? Klarheit macht sichtbar, wo Sie sich selbst belügen – und das ist unbequem, aber notwendig.
Das Konzept verlagert Verantwortung nach außen. Wenn etwas nicht klappt, lag es angeblich an der „falschen Energie“ oder am „falschen Wünschen“. Das führt zu Selbstverurteilung statt zu Handlung. Veränderung entsteht nicht durch Wünschen, sondern durch Entscheiden, Handeln und das Aushalten von Unsicherheit.
Wer klar benennt, was er will, kann sich hinterher nicht mehr herausreden. Die Ausrede „Ich wusste ja nicht, was ich wollte“ fällt weg. Klarheit nimmt Ihnen die Opferrolle – und genau deshalb scheuen viele Menschen davor zurück. Eigenverantwortung beginnt dort, wo Sie aufhören, auf äußere Umstände zu warten.
Nein. Auch mit maximaler Klarheit kann etwas schiefgehen – Glück und Timing lassen sich nicht kontrollieren. Aber Klarheit macht es schwerer, sich selbst zu belügen. Sie wissen dann wenigstens, wofür Sie sich entschieden haben. Und das ist die Grundlage, um aus Enttäuschungen zu lernen statt sie zu wiederholen.