Resilienz (Teil 1)

Veröffentlicht am: 08.09.2025 von Jan Göritz

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Resilienz als Allheilmittel verkauft wird, was der Sache absolut nicht gerecht wird.

Resilienz ist keine Zauberformel, im Gegenteil: Sie ist häufig innerhalb der eigenen Biografie hart erarbeitet.

Was bedeutet Resilienz eigentlich?

„Resilienz ist die Fähigkeit von Personen oder Gemeinschaften, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen.“, so schreibt es das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Ich würde hinzufügen, dass es sich um einen Anpassungsprozess an veränderte Lebensbedingungen handelt. Wie gehen wir mit Stress, Traumata, Misserfolgen, Krankheit oder Trennungen um? – Und zwar ohne daran zu zerbrechen.

Aber resilient sein heißt nicht, alles wegzustecken.

Es bedeutet auch nicht, keine Gefühle zu zeigen oder immer stark sein zu müssen. Wer weint, zweifelt oder zusammenklappt, ist nicht automatisch „nicht resilient“. Im Gegenteil: Die Fähigkeit, Krisen zuzulassen und trotzdem weiterzugehen – das ist häufig echte Stärke.

Resilienz ist kein Synonym für „Denk positiv!“ Im Gegenteil: Häufig hat positives Denken beziehungsweise das, was wir daraus machen, etwas Toxisches. Dagegen ist Resilienz eine von innen gewachsene Stärke, die uns eine wirkliche Stütze sein kann.

Die Säulen echter Resilienz

1. Akzeptanz statt Verdrängung

Shit happens. So ließe sich Akzeptanz in aller Kürze zusammenfassen. Was passiert ist, ist passiert, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Doch das ist genau das, was häufig schwierig ist: anzuerkennen, dass etwas wehgetan oder uns sogar erschüttert hat. Stattdessen verdrängen oder relativieren wir oder wir schalten von „fühlen“ auf „funktionieren“. „Wird schon wieder“ oder „Anderen geht’s schlimmer“ sind Mantras, die wir hier benutzen.

Aber was wir wegdrücken, ist nicht weg, sondern arbeitet in uns weiter. Manchmal zeigt es sich dann über körperliche Symptome oder plötzliche Gefühlsausbrüche.

Akzeptanz heißt nicht, alles gut zu finden.

Es heißt: die Realität so anzunehmen, wie sie ist. Und nicht daran zu verzweifeln, dass sie nicht so ist, wie sie sein sollte.

Das Leben wird nicht einfacher oder verzeihender. Wir werden stärker und widerstandsfähiger. (Steve Maraboli)

2. Flexibilität statt Sturheit

Mancher mag im ersten Moment denken, dass ein resilienter Mensch vielleicht besonders hart sein muss, wenn er den Stürmen des Lebens trotzen muss. Aber das Gegenteil ist der Fall:

Von Bäumen bis zu den Flügeln eines Flugzeugs ist häufig eine gewisse Flexibilität dafür verantwortlich, dass etwas auch unter großen Belastungen nicht bricht. Das gilt auch für uns Menschen und die Stürme in unserem Leben. Wenn ich stur an einer Idee festhalten möchte, laufe ich unter Umständen Gefahr, mich zu verausgaben.

Flexibilität bedeutet für uns Menschen, dass wir auch mit veränderten Vorraussetzungen einen passenden Weg finden, auch, wenn der ursprünglich geplante Weg nicht mehr funktioniert.

3. Sinn statt Sinnlosigkeit

Es gibt Momente, in denen wir uns fragen, warum wir uns jeden Tag erneut in die Mühle des Lebens begeben. Da ist doch eh nur Stress, Streit, Hektik und dergleichen mehr.

Ja, Krisen, Verluste, Krankheiten und Enttäuschungen können das Leben ganz schön durcheinanderbringen. Und dabei kann auch der innere Kompass richtig Schaden nehmen. Was gestern noch wichtig war, erscheint plötzlich nichtig.

Resilienten Menschen passiert so etwas auch. Aber anstatt daran zu verzweifeln, finden sie neue Wege, um ihr Leben – angepasst an die neuen Gegebenheiten – weiterzuführen.

Was ihnen oft hilft, ist das Gefühl, dass das Erlebte irgendeinen Sinn hat oder bekommen kann:

  • Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen?
  • Wem kann ich vielleicht mit meiner Geschichte helfen?
  • Was ist mir wirklich wichtig?

Sinn kann dabei vieles sein:

Eine Beziehung, eine Aufgabe, eine Haltung, ein Glaube, ein Hund, ein Garten. Manchmal auch der Wunsch, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.

Viktor Frankl, Überlebender mehrerer Konzentrationslager und Begründer der Logotherapie, schrieb:

Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie. (Viktor Frankl)

Sinn ist kein fertiges Konstrukt, im Gegenteil: häufig erkennen wir ihn erst in der Rückschau.

Und manchmal ist es nicht der große Sinn, sondern ein ganz kleiner:

Jemandem ein Lächeln oder ein nettes Wort schenken oder einen Text für den Blog schreiben.

Resilienz heißt auch: dem Leben einen eigenen Sinn zu geben.

Wir müssen bereit sein, das Leben, das wir geplant haben, loszulassen, um das Leben zu haben, das auf uns wartet. (Joseph Campbell)

4. Eine positiv-realistische Sichtweise

Eine der wichtigsten Säulen der Resilienz ist die Fähigkeit, eine positive, aber realistische Perspektive auf die Dinge zu bewahren.

Das bedeutet nicht, dass man die Schwierigkeiten verharmlosen oder ignorieren soll, sondern vielmehr, dass man auch in herausfordernden Situationen das Potenzial für Wachstum und Entwicklung sieht. Menschen mit hoher Resilienz neigen dazu, den Fokus auf das zu richten, was sie kontrollieren können, und akzeptieren die Aspekte, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen.

Diese lebensbejahende Sichtweise hilft ihnen, in Krisenzeiten durchzuhalten und optimistisch in die Zukunft zu blicken, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren.

5. Starke soziale Verbindungen

Ein weiterer entscheidender Faktor für Resilienz sind tiefgehende, unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen. Familie, Freunde und Gemeinschaften können eine wertvolle Quelle der Unterstützung und des Trostes sein, wenn das Leben herausfordernd wird.

Soziale Verbindungen bieten nicht nur emotionale Unterstützung, sondern auch unterschiedliche Perspektiven und Lösungsansätze, die in Krisenzeiten hilfreich sein können. Menschen, die sich auf ein starkes soziales Netz verlassen können, sind oft besser in der Lage, mit Belastungen umzugehen, und kommen schneller wieder auf die Beine.

Zusammengefasst: Resilienz ist ein dynamischer und komplexer Prozess, der sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Es geht darum, eine Balance zwischen Akzeptanz, einer positiven Sichtweise und sozialen Unterstützungsstrukturen zu finden. Resilienz ist individuell; sie sieht bei jedem Menschen anders aus und entwickelt sich im Laufe der Zeit durch persönliche Erfahrungen und das Überwinden von Herausforderungen. Jeder Mensch hat das Potenzial, seine Resilienz zu stärken und zu einem stabileren, selbstbewussteren Individuum zu wachsen.

Praxisbeispiel: Selbstmitgefühl

Ich erinnere mich an eine Klientin, die aus einem extrem leistungsbetonten Elternhaus stammte. Wenn es überhaupt für irgendetwas Anerkennung oder so etwas wie Liebe gab, dann für Leistung.

Als Single und auch mit Partner, aber ohne Kinder, konnte sie dieses Konzept noch gut aufrechterhalten. Schwierig wurde es erst, als Kinder ins Spiel kamen. Am Anfang haben Kinder ja noch keine großartigen Wahlmöglichkeiten und gehen das Leben der Eltern mit. Aber wenn sie älter werden, dann haben sie meist andere Interessen als Leistung.

An diesem Punkt ihres Lebens hat sich die ehemalige Klientin, damals Mitte 30, an mich gewandt. „Ich weiß, dass ich nicht so denken sollte, aber es macht mich wahnsinnig, dass mein Sohn nicht funktioniert. Jonas war damals zweieinhalb Jahre alt und hatte große Freude am Wort „Nein“

„Er treibt mich in den Wahnsinn“, sagte sie. „Ich weiß ja, dass er ein Kind ist. Aber wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich an wie eine persönliche Kränkung. Ich mache alles richtig – und er macht einfach nicht mit.“

In unseren Sitzungen wurde schnell deutlich: Nicht der kleine Jonas war das Problem – sondern das innere System, das seine Mutter, meine Klientin, über Jahrzehnte verinnerlicht hatte:

Leistung = Liebe.

Später arbeiteten wir auch noch „Kontrolle gibt mir Sicherheit“ und „Wenn ich ein braves Mädchen bin, bekomme ich Liebe“ als Glaubenssätze heraus. Besonders beim zweiten Satz flossen viele bittere Tränen.

Und Jonas war mit seiner Wildheit, seiner Neugier und dem Hang zum Risiko für das System meiner Klientin, seiner Mutter, ein absoluter Störfaktor.

Aber eigentlich – so hat sie es später selbst formuliert – „hat Jonas mir mit großem Nachdruck gezeigt, wie eng mein eigenes Korsett ist.“

Aber wie ist sie dahingekommen? Es hat eine einzige Frage zum richtigen Zeitpunkt ausgereicht: „Was wäre anders gewesen, wenn Sie liebevolle Eltern gehabt hätten?“ Die Reaktion damals hat mich in ihrer Intensität etwas überrascht. Die Klientin wurde nicht nur nachdenklich, sondern sie wirkte wie vom Donner gerührt und begann, stark zu weinen. Es wirkte, als ob eine gerade noch notdürftig aufrechterhaltene Staumauer in sich zusammengebrochen wäre.

In der nächsten Stunde saß sie mir gegenüber und war völlig von den Socken: „Es ist, als ob ich bisher nur in einem Schwarz-Weiß-Film gelebt hätte und gerade wäre die Farbe dazugeschaltet worden. Es ist alles so viel intensiver, wenn man fühlt, wenn man lebt.“

Ab diesem Punkt veränderte sich nicht alles auf einmal, aber etwas sehr Grundlegendes war passiert: Zum ersten Mal begann die Klientin, nicht nur ihre Gedanken wahrzunehmen. Sondern mehr und mehr ihre Gefühle zu fühlen und ernst zu nehmen.

Auf dem Ozean des Lebens sind die Gefühle unser Kompass (asiatische Weisheit)

Je mehr sie ihre Emotionen und Impulse wahrnahm, desto mehr begann sie, sich selbst wichtig zu nehmen. Sie war plötzlich nicht mehr nur die perfekte Mutter oder die perfekte Partnerin. Sie ließ das Wort „perfekt“ immer mehr verblassen und das Wort „Selbstmitgefühl“ bekam einen immer größeren Stellenwert.

Ein Satz, den sie später in einer Sitzung sagte, ist mir bis heute im Kopf geblieben:

„Ich habe jahrelang gelernt, mich zu verurteilen. Jetzt lerne ich, mit mir im Gespräch zu bleiben.“

Das war der Moment, in dem wir begannen, ganz konkret mit dem Thema Selbstmitgefühl zu arbeiten.:

  • sich selbst zuhören lernen
  • innere Härte erkennen
  • den Tonfall im eigenen Kopf bemerken – und Stück für Stück verändern

Es ging nicht darum, sich einzureden, dass alles gut ist. Sondern darum, sich selbst auch dann zu akzeptieren, wenn es gerade nicht gut ist, sich in der Not nicht fallen zu lassen, sondern sich selbst die Hand auszustrecken.

Und mit der Zeit wurde aus der harten, getriebenen Mutter eine Frau, die sagen konnte: „Vielleicht liebe ich mich nicht immer, aber ich habe ein stabiles Ich-mag-mich-Fundament, auf dem ich entspannt mit Jonas und mir selbst umgehen kann.“

Weiterführende Informationen

Teil 2 lesen Sie hier am 15.09.2025

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

FAQ

Resilienz ist nicht angeboren, sondern ein Prozess, der sich im Laufe des Lebens entwickeln und verändern kann. Frühe Bindungserfahrungen legen zwar eine Grundlage, aber auch später im Leben – durch Reflexion, Therapie oder Krisenerfahrungen – kann Resilienz gestärkt werden. Es ist nie zu spät, neue innere Haltungen zu entwickeln.

Nein. Resilienz bedeutet nicht, immer stark zu wirken oder alles „wegzustecken“. Es geht vielmehr darum, trotz Belastung handlungsfähig zu bleiben, sich selbst nicht aufzugeben – und manchmal auch: sich Hilfe zu holen. Tränen, Zweifel oder Krisen gehören zur Resilienz dazu.

Akzeptanz heißt, die Realität wahrzunehmen, wie sie ist – auch wenn sie unangenehm oder schmerzhaft ist. Verdrängung versucht, Gefühle oder Tatsachen auszublenden. Das Problem: Verdrängtes wirkt oft im Hintergrund weiter – körperlich oder seelisch. Akzeptanz ist der erste Schritt zur inneren Veränderung.

Sinn ist keine fixe Größe, sondern etwas sehr Persönliches. Manche finden ihn in Beziehungen, andere im Beruf, im Engagement oder in der Verbindung zur Natur. Resiliente Menschen sind oft in der Lage, selbst in schwierigen Erfahrungen einen Sinn zu entdecken oder zu erschaffen, der ihnen hilft, weiterzugehen.


Diesen Artikel teilen