Übertragung
Definition und Ursprung:
Die Übertragung ist ein psychologisches Phänomen, das ursprünglich von Freud, Sigmund in der Psychoanalyse beschrieben wurde. Es bezeichnet den Prozess, bei dem Gefühle, Wünsche und Erwartungen, die ursprünglich mit wichtigen Bezugspersonen aus der Kindheit verbunden waren, auf andere Personen in der Gegenwart projiziert werden, oft ohne dass der Betroffene sich dessen bewusst ist.
Arten der Übertragung:
Es gibt verschiedene Formen der Übertragung, darunter die positive Übertragung, bei der positive Gefühle und Erwartungen projiziert werden, und die negative Übertragung, bei der negative oder feindselige Gefühle und Erwartungen projiziert werden. Eine weitere Form ist die Gegenübertragung, ein Konzept, das von Racker, Heinrich eingeführt wurde und sich auf die Reaktionen des Therapeuten auf den Patienten bezieht, insbesondere auf die Gefühle, die durch die Übertragung des Patienten hervorgerufen werden.
Übertragung in der Therapie:
In der psychoanalytischen Therapie wird die Übertragung als ein wichtiges Werkzeug angesehen, um unbewusste Konflikte und Muster zu erkennen und zu bearbeiten. Der Therapeut kann die Übertragungsreaktionen des Patienten analysieren und interpretieren, um dem Patienten zu helfen, Einsicht in seine inneren Konflikte und Muster zu gewinnen. Einige Therapeuten, wie z.B. Kohut, Heinz, haben betont, dass die Übertragung auch eine therapeutische Rolle spielen kann, indem sie dem Patienten eine „korrigierende emotionale Erfahrung“ bietet.
Kritik und Weiterentwicklung:
Die Übertragungstheorie und ihre Anwendung in der Therapie sind nicht ohne Kritik. Einige Kritiker, wie z.B. Mitchell, Stephen A., haben argumentiert, dass die Übertragungstheorie zu stark auf die Vergangenheit fokussiert ist und die Bedeutung der gegenwärtigen Beziehung zwischen Therapeut und Patient vernachlässigt. Andere, wie z.B. Greenberg, Leslie S., haben betont, dass die Übertragungstheorie auch mit anderen therapeutischen Ansätzen, wie der humanistischen und der kognitiven Therapie, vereinbart werden sollte.
Übertragung in zwischenmenschlichen Beziehungen:
Während die Übertragung oft im Kontext der therapeutischen Beziehung diskutiert wird, kann sie auch in alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen auftreten. Beispielsweise kann eine Person ihre unbewussten Erwartungen und Gefühle, die sie gegenüber ihren Eltern hatte, auf ihren Partner oder ihre Freunde projizieren. Dies kann zu Missverständnissen und Konflikten führen, insbesondere wenn die übertragenen Gefühle und Erwartungen nicht erfüllt werden.
Neurowissenschaftliche Perspektiven:
Neuere Forschungen, wie die von Cozolino, Louis, haben begonnen, die Übertragung aus einer neurowissenschaftlichen Perspektive zu untersuchen. Diese Forschungen legen nahe, dass die Übertragung mit der Aktivierung bestimmter Bereiche des Gehirns verbunden sein könnte, die an der Verarbeitung von Emotionen, Erinnerungen und sozialen Informationen beteiligt sind. Dies könnte dazu beitragen, zu erklären, warum die Übertragung so mächtig sein kann und warum sie oft außerhalb des Bewusstseins des Individuums auftritt.
Zukünftige Richtungen:
Die Übertragung bleibt ein aktives Forschungsgebiet in der Psychologie und Psychotherapie. Zukünftige Forschungen könnten sich auf die Entwicklung effektiverer Methoden zur Identifizierung und Handhabung von Übertragungsreaktionen in der Therapie konzentrieren. Darüber hinaus könnte die Forschung auch dazu beitragen, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Übertragung in verschiedenen kulturellen und sozialen Kontexten auftritt und wie sie das individuelle Wohlbefinden und die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen kann.