Männlichkeit (Teil 2) – Neue Männer braucht das Land
Veröffentlicht am: 04.08.2025 von Jan Göritz
Veröffentlicht am: 04.08.2025 von Jan Göritz
Teil 1 (Wann ist der Mann ein Mann) lesen Sie hier
Bereits ein Jahr, bevor Herbert Grönemeyer sich der Frage annahm, wann ein Mann ein Mann ist, proklamierte Ina Deter „Neue Männer braucht das Land“. Es scheint also schon vor über 40 Jahren eine Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen gegeben zu haben, die es sogar bis in die Pop-Musik geschafft hat.
Setz‘ es fett in die Bild-Zeitung: Emanze sucht ’ne Begleitung (Aus „Neue Männer braucht das Land“ – Ina Deter)
Schon damals war klar, dass es nicht wie bisher weitergehen wird. Frauen emanzipierten sich und viele Männer wussten nicht genau, wo sie hingehören. Auch damals hielten viele Männer eher an den gewohnten Rollen fest, anstatt in den Diskurs zu gehen und wirkliche Veränderungen zu initiieren.
Was damals noch relativ rebellisch klang, ist heute Alltag geworden: Gleichstellung, Sichtbarkeit und neue Lebensmodelle. Aber mit der Sichtbarkeit wurde die Verunsicherung nicht unbedingt kleiner. Und die ist bis heute überall dort deutlich spürbar, wo Männer mit ihrer Gefühlsebene konfrontiert sind. Natürlich nicht alle Männer, aus meiner Praxis sind mir viele gegenteilige Beispiele bekannt. Aber wenn ich mir gesamtgesellschaftliche Tendenzen ansehe, dann sehe ich auch viele Männer, die an alten und veralteten Rollenklischees festhalten.
Was passiert also, wenn Männer ihre vertraute Rolle verlieren und neue noch nicht greifbar sind?
Darum geht es in diesem zweiten Teil.
Viele Männer, die in meine Praxis kommen, berichten nicht nur von einem inneren Ungleichgewicht, sondern auch davon, dass ihre Partnerschaften in Schieflage geraten sind. Besonders dann, wenn die alten Rollenbilder nicht mehr greifen.
Ein Klient formulierte es so:
„Ich fühle mich manchmal wie ein Mitarbeiter in meiner eigenen Beziehung. Ich weiß gar nicht mehr richtig, wo da mein Platz ist. Deswegen bin ich oft lange im Büro, denn da habe ich klare Strukturen“
Am liebsten erinnern sich die Frauen an die Männer, mit denen sie lachen konnten. (Anton Tschechow)
Was früher klar verteilt war – er bringt das Geld, sie kümmert sich um die Kinder – ist heute mitnichten klar verteilt. Im Optimalfall setzen sich die Partner hin und besprechen gemeinsam, wie genau das gemeinsame Leben aussehen soll. Und genau das macht es schwierig. Denn mit seiner klaren Rolle, die wegfällt, fallen möglicherweise auch Sicherheit und Erfolg weg.
Viele Männer versuchen dann, durch Kontrolle, Rückzug oder verstärkte Leistung wieder Halt zu finden. Doch das funktioniert meist nur kurzfristig und kostet meistens viel Beziehungsqualität.
Beziehungen brauchen heute nicht mehr klassische Rollenerfüllung, sondern emotionale Präsenz und Augenhöhe. Die Frage ist nicht mehr: Was wird von mir erwartet?, sondern: Was passt zu uns – und wie können wir das gemeinsam leben?
Kaum ein Thema beschäftigt viele meiner Klienten so sehr wie das Verhältnis zum eigenen Vater. Auch wenn sie das Thema anfangs gar nicht auf dem Schirm haben, taucht es fast immer irgendwann auf.
Ob der Vater körperlich anwesend war oder nicht – emotional präsent waren nur wenige Väter. Und wer selbst keine emotionale Begleitung erlebt hat, tut sich oft schwer damit, später Gefühle zu zeigen – oder sie überhaupt nur wahrzunehmen.
Ich erinnere mich an einen Mann Ende dreißig, der irgendwann sagte:
„Ich habe keinen einzigen Satz im Ohr, den mein Vater mir gesagt hat. Nicht mal einen. Das ist mir lange gar nicht bewusst gewesen, bis mir ein Freund mal erzählte, dass sein Vater ihm zur Geburt seines ersten Kindes einige philosophische Weisheiten aufgeschrieben hat, an denen er sich als Vater orientiert hat. Da wurde mein Herz gleichzeitig warm und schwer.“
Aber auch Frauen sind davon betroffen: Durch die Unsichtbarkeit beziehungsweise die Unnahbarkeit des Vaters entsteht oft ein verzerrtes oder idealisiertes Bild von Männlichkeit. Und so wirken Väterbilder über Generationen hinweg weiter.
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater ist nicht immer angenehm. Meistens ist sie nach meiner Erfahrung sogar eher schmerzhaft. Aber sie ist ein elementarer Schritt auf dem Weg zu einer neuen Männlichkeit.
„Männer können ihre Gefühle nicht zeigen“ ist ein weitverbreitetes Vorurteil. Aber viele Männer sind durchaus in der Lage, vielschichtig und differenziert zu fühlen. Häufig jedoch wurde ihnen beigebracht, sich zusammenzureißen, nicht „rumzuheulen wie ein Mädchen“ und sich in Sachen Tapferkeit an Indianerherzen zu orientieren. Und so sitzen mir immer mal wieder Männer gegenüber, die mit Themen vorstellig werden, wie
All das sind mögliche Folgen von unterdrückten Gefühlen. Denn Gefühle verschwinden ja nicht einfach, sondern lagern sich ab und gären in uns vor sich hin. Diese innere Spaltung zwischen dem, was wir fühlen, und dem, was wir zeigen dürfen, macht uns auf Dauer krank. Und sie steht einer echten Verbindung im Weg. Und das nicht nur in Beziehungen, sondern auch im Freundeskreis, im Job und nicht zuletzt zu sich selbst.
Die Männer, die mit den Frauen am besten auskommen, sind dieselben, die wissen, wie man ohne sie auskommt. (Charles Baudelaire)
Ein gesunder Umgang mit Gefühlen beginnt nicht mit einem großen Gefühlsausbruch. Er beginnt eher leise, zum Beispiel mit einem Satz wie: „Ich weiß gerade nicht, was genau ich fühle, aber ich merke, dass da was ist.“
So kann die eigene Männlichkeit zu einer gesunden, offenen und flexiblen Identität beitragen.
Wut ist eine der am häufigsten sichtbaren Emotionen bei Männern – und gleichzeitig eine der am häufigsten missverstandenen. Denn Wut ist selten das Problem. Sie ist ein Symptom. Eine Art emotionaler Kurzschluss. Hinter der Wut liegen oft andere Gefühle wie Ohnmacht, Scham, Trauer, Hilflosigkeit. Gefühle, die lange eher mit Schwäche als mit Männlichkeit assoziiert worden sind. Insofern haben viele Männer nicht gelernt, mit solchen Gefühlen umzugehen.
Und so haben viele Männer nur zwei emotionale Zustände: „Alles ok!“ und „Jetzt reicht’s!“
Wut wird dabei zur einzigen Möglichkeit, um innere Spannung loszuwerden. Allerdings passiert das in der Regel in dem Umfeld, in dem sich der Mann sicher fühlt: in der Familie. Und so trifft diese Wut oft die Falschen: entweder Partnerinnen und Kinder oder den betreffenden Mann selbst – beispielsweise in Form von Selbsthass oder Alkoholmissbrauch. Besonders die letzten beiden Punkte verschärfen die innere Dysbalance.
In der therapeutischen Arbeit ist es wichtig, der Wut nicht den Kampf anzusagen, sondern sie ernst zu nehmen – und zu übersetzen. Denn wer seine Wut versteht, kann die in der Wut enthaltene Kraft nutzbar machen – um sein Leben zu gestalten.
Das Thema mentale Gesundheit war für viele Männer lange gleichbedeutend mit Schwäche. Therapie, Selbstreflexion, Achtsamkeit? Warum, wenn man sich auch zusammenreißen kann?
Dabei ist mentale Gesundheit Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Und sie beginnt genau dort, wo alte Männlichkeit nicht mehr greift.
Eine neue Männlichkeit erkennt an, dass auch Männer Ängste haben, unsicher sind und zweifeln. Sie erkennt an, dass nicht Verdrängung die eigentliche Stärke ist, sondern das Zulassen und Aushalten von Gefühlen und Ambivalenzen.
Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem sich etwas bewegt: Immer mehr Männer trauen sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Immer mehr Männer sprechen miteinander – nicht nur über Technik, sondern auch über Gefühle. Immer mehr Männer merken, dass sie nicht alleine sind in ihrer Verunsicherung.
Und das ist gut so, denn echte und nachhaltige Veränderung muss immer im Innen beginnen.
Wann der Mann ein Mann ist?
Vielleicht dann, wenn er sich das nicht mehr fragen muss.
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Mehr InformationenNein, es geht nicht darum, sich selbst abzuschaffen. Es geht darum, ehrlich hinzuschauen, welche Teile des alten Rollenverständnisses für Sie noch stimmig sind – und welche vielleicht überholt, einengend oder belastend wirken. Veränderung bedeutet nicht Verlust, sondern die Chance, bewusster zu entscheiden, wie Sie leben wollen.
Der Vater ist oft die erste (und prägendste) männliche Identifikationsfigur. Wenn er abwesend, hart oder emotional nicht zugänglich war, kann das zu inneren Konflikten und Unsicherheiten führen – besonders, wenn es darum geht, Gefühle zuzulassen oder Beziehungen zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vaterbild ist kein „Rückblick in die Vergangenheit“, sondern oft ein entscheidender Schritt für die eigene Entwicklung.
Funktionieren ist nicht das Ziel – Leben ist mehr als Leistung. Unterdrückte Gefühle verschwinden nicht einfach – sie zeigen sich oft als Gereiztheit, Rückzug, körperliche Symptome oder Beziehungsprobleme. Der Umgang mit Gefühlen ist kein „weibliches Thema“, sondern ein menschliches Grundbedürfnis. Männer, die lernen, ihre Emotionen zuzulassen, berichten häufig von mehr Klarheit, Gelassenheit und echter Verbindung.
Viele Männer leiden still – und setzen ihre Prioritäten oft auf Arbeit, Leistung und Kontrolle, weil sie es so gelernt haben. Aber unter der Oberfläche brodelt es. Psychische Belastungen betreffen Männer genauso wie Frauen – sie zeigen sich nur oft anders. Die Beschäftigung mit der eigenen mentalen Gesundheit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Ausdruck von Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber.