Outgesourcte Wut

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Wut und andere Gefühle

Jeder von uns hat alle Gefühle in sich. Ausgeglichenheit und Liebe genauso wie Wut und Hass. Der Unterschied liegt einzig darin, dass wir den verschiedenen Gefühlen in uns unterschiedlich viel Raum geben.

Wie es im Film „Die Wutprobe“ heißt: „Es gibt zwei Arten von aggressiven Menschen: explodierende und implodierende. Ersteres sind die Personen, die den Kassierer anbrüllen, weil er ihnen keine zweite Tüte geben will. Zu letzteren gehört der Kassierer, der die Ruhe bewahrt, Tag für Tag… und unversehens alle in dem Laden abknallt.“

Natürlich muss nicht aus jedem freundlichen Kassierer ein Amokläufer werden. Fest steht aber: die unterdrückte Wut braucht Raum. Den können wir ihr geben oder sie nimmt ihn sich irgendwann.

Raum geben können wir der Wut auf verschiedene Arten und Weisen:

  • Sport
  • in den Wald fahren und laut schreien
  • Auf dem Schrottplatz Autos kaputt schlagen
  • Brennholz hacken

An diesen Beispielen wird deutlich, dass hier ein Auspowern im Vordergrund steht. Wut ist nämlich grundsätzlich nichts anderes als Kraft. Und ungenutzte Kraft ist wie ein Dampfkessel ohne Ventil. Irgendwann explodiert er. Bei uns Menschen kann sich solch ein Gefühls-Überdruck zum Beispiel in Panikattacken äußern.

Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die ihre Wut nicht nur unterdrücken, sondern regelrecht outsourcen. Während sie ganz ruhig und friedlich zu sein scheinen, sucht sich die Wut andere Ausdrucksformen, wie beispielsweise:

  • passive Aggressivität
  • Ausdruck von Aggression durch Stellvertreter.

Passive Aggressivität

Unter passiver Aggressivität versteht man ein Verhalten, das vordergründig nicht aggressiv wirkt, beim Gegenüber aber doch ein diffuses Grummeln im Bauch hinterlässt.
Hierzu zählen:

  • Sarkasmus
  • Gluckenverhalten
  • Uneinsichtigkeit bezüglich eigener Fehler
  • Opferhaltung
  • Vermeidung von Konflikten

Aggressions-Stellvertreter

Wenn Menschen absolut keinen Weg finden, ihrer Wut Raum zu geben oder sie gar nicht klar spüren und benennen können, dann ist es manchmal so, als würden sie sich von ihrer Wut trennen und sie sozusagen outsourcen. Sie suchen sich Stellvertreter, die sich das trauen, was sie selbst noch nicht schaffen:

  • Klartext reden
  • äußern, was sie unzufrieden macht
  • einen klaren Standpunkt haben
  • mutig sein

Durch das Hören entsprechender Musik oder das Sehen passender Filme fühlt sich die eigene Wut gewürdigt und der innere Druck verringert sich.
Dadurch, dass weder passive Aggressivität noch das Outsourcen von Wut für eine nachhaltige Veränderung der (Lebens-)Situation sorgen, muss diese Strategie zum Umgang mit der eigenen Unzufriedenheit so lange weiterverfolgt werden, bis sich die Person entschließt, Verantwortung für sich und ihr Leben zu übernehmen und grundliegende Änderungen einleitet.
Häufig handelt es sich um Menschen, die entweder

  • eine große Frustration bezüglich ihrer Selbstwirksamkeit haben oder
  • direkt oder indirekt gelernt haben, dass Wut etwas sehr gefährliches ist.

Selbstwirksamkeit und Frust

Wenn jemand als Kind die Erfahrung gemacht hat, dass er sich noch so sehr für sich einsetzen kann, sich an seiner Situation aber trotzdem nichts ändert, dann lernt man irgendwann, sich seinem Schicksal zu ergeben. Wenn ein Kind diese Erfahrung häufiger macht, dann wird es irgendwann gar keinen Versuch mehr starten, etwas verändern zu wollen. Es wird nach außen hin wahrscheinlich das „brave Kind“, das sich von seiner Wut (und damit von seiner Kraft) komplett abgeschnitten hat.
Um als Baby oder Kleinkind diese Erfahrung zu machen, reicht es schon aus, nicht dann gefüttert zu werden, wenn man Hunger hat, sondern nach zeitlichen Vorgaben. Diese und andere Lieblosigkeiten wurden in Erziehungsratgebern bis in die 1980er Jahre verbreitet. Dieser Artikel in der ZEIT beschäftigt sich näher damit.
Ein Experiment mit Flöhen zeigt sehr plastisch, was passieren kann:
Flöhe können ungefähr 20 Zentimeter hoch springen.
Sperrt man sie in ein deutlich niedriegeres Schraubverschlussglas, dann werden sie noch eine Zeit lang gegen den Deckel springen, sich dann aber selbst in ihrer Sprunghöhe limitieren und diesbezüglich der Glashöhe anpassen. Die Flöhe haben diese frustrierende Erfahrung so verinnerlicht, dass sie auch nach dem Öffnen des Glases nicht wieder zu ihrer ursprünglichen Sprunghöhe zurückkehren.

Wut als Gefahr

Wenn ein Kind direkt oder indirekt die destruktiven Auswirkungen der Kraft Wut zu spüren bekommt, kann es sein, dass es unterbewusst entscheidet, dass Wut ein Gefahr für Leib und Leben (aus Sicht des Kindes tatsächlich) ist und unbedingt vermieden werden muss.
Auch in diesem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich um Menschen handelt, die nach eigener Aussage „harmoniesüchtig“ sind und somit lieber ihre Wünsche und Bedürfnisse vernachlässigen als das Risiko eines Konflikts einzugehen.

Innere und äußere Konflikte

Wenn ich von Konfliktvermeidung schreibe, dann meine ich Konflikte im Außen. Denn Konflikte lösen sich ja nicht einfach in Luft auf, sondern sie verlagern sich höchstens von außen nach innen: auf der einen Seite steht die innere Stimme, die sehr wohl weiß, was gut und richtig ist, auf der anderen Seite steht die Angst vor der Auseinandersetzung.
Als Resultat dieser inneren Reibung bleibt meistens auch Wut, nämlich die Wut auf sich selbst.

Verantwortung übernehmen

Sie können es drehen und wende, wie Sie wollen: wenn Sie unzufrieden sind und gleichzeitig Angst vor möglichen Konsequenzen haben, wenn Sie es ansprechen, dann ist der nachhaltige Weg der, sich der Angst zu stellen.
Stellen Sie sich beispielsweise folgende Fragen:

  • Wenn mein Partner mich verlässt, weil ich Unzufriedenheit äußere – möchte ich dann überhaupt mit ihm zusammen sein?
  • Ist das eine gute Freundschaft, in der nur der andere den Ton angibt?
  • Wenn mir meine aktuelle Arbeit Bauchschmerzen bereitet, kann es dann wirklich noch schlimmer kommen?

Wenn Sie sich die Zeit nehmen, und diese Fragen ernsthaft beantworten, dann werden Sie früher oder später wahrscheinlich auf einen Satz stoßen, der so oder so ähnlich beginnt: „Nein, aber…“
Das „Nein“ ist wichtig, denn hiermit zeigen Sie sich, dass Sie sich selbst gegenüber ehrlich sind und das, was nach dem „aber“ folgt ist wichtig, denn es zeigt, wovor Sie wirklich Angst haben.
Wenn Sie sich das erst einmal eingestanden haben, dann ist der erste Schritt zur Veränderung bereits vollzogen, denn nun müssen Sie sich nichts mehr vormachen, wenn Sie Partner, Freund oder Arbeit noch treu bleiben. Anstatt sich den Ist-Zustand schönzureden, wissen Sie, dass die Veränderung schon im Gange ist.

 

Wut - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater in Hamburg

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