Ordnung – der Wert der Unordnung (Teil 2)

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Innere Stagnation – bloß keine Unordnung

Innere Stagnation geht häufig mit einer inneren Rückwärtsgewandtheit einher. „Früher war alles besser“ und „damals war die Welt noch in Ordnung“ beschreiben nichts weiter als die unbewusste oder bewusste Weigerung, sich mit neuen Gegebenenheiten, Entwicklungen und damit einhergehenden Phasen der Unordnung auseinanderzusetzen.
Wobei statt „Unordnung“ auch „Umordnung“ ein passender Begriff wäre. Doch ganz gleich, wie wir diese Phase bezeichnen, für manchen Menschen ist es eine Zeit, in der er mit Unsicherheit und Angst konfrontiert ist.

Und da rede ich noch nicht einmal vom großen Weltgeschehen, sondern beispielsweise von der Mutter des neuen Partners, die sich weigert, anzuerkennen, dass die vorherige Beziehung vorbei ist.
Da wird dann in Gegenwart der neuen Partnerin die Ex des Sohnes ausgiebig und in den höchsten Tönen gelobt.

Neue Ordnungen anerkennen 

Der Weg aus dem Dilemma ist, anzuerkennen, dass die (eigene kleine) Welt nicht mehr die ist, die sie mal war und gleichzeitig zu erkennen, dass man seinen Raum auch in den veränderten Umständen gestalten kann.

Es besteht ein großer Unterschied darin, ob ich etwas nicht mehr so machen kann, wie ich es gewohnt bin, oder ob ich nichts mehr machen kann.

Während Corona konnte ich mitunter beobachten, dass das eine mit dem anderen verwechselt wurde und dass die Erkenntnis, dass es doch noch einen Raum gibt, den man selbst gestalten kann, stets zu einer größeren Lebenszufriedenheit bei meinen Klienten geführt hat.

Doch wir alle scheuen mitunter den Schmerz und versuchen lieber, die Welt um uns herum so zu gestalten, dass sie für uns „in Ordnung“ ist:

  • wir tilgen die Menschen aus unserem Leben, mit denen wir nicht einer Meinung sind
  • Wir setzen auf „schnelle“ beziehungsweise „einfache“ Lösungen, die sich häufig als Bumerang entpuppen (zum Beispiel Antibiotika in der Tierhaltung, schnelle Diäten oder auch der Griff zur Flasche, zu Drogen oder anderen Verdrängungshelfern, anstatt sich mit Problemen auseinanderzusetzen)
  • Wir vermeiden nachhaltige aber langwierige Prozesse und versuchen, schnell wieder eine statische Ordnung zu errichten.

Sollten Sie jetzt mit vergangenen Entscheidungen hadern, weil Sie sich damals gegen das Wachstum entschieden haben, dann seien Sie milde mit sich. Wir treffen immer die besten Entscheidungen, die uns in diesem Moment zur Verfügung stehen.

Entwicklung ist eine Einbahnstraße

Das gilt meines Erachtens sowohl für die persönliche als auch für die gesellschaftliche Entwicklung.  Und es gibt weder Abkürzungen noch einfache Lösungen. 

Wenn wir versuchen im „Spiel des Lebens“ zu mogeln, heißt es ganz schnell: „zurück auf Start.“

Veränderungen 

Menschen haben scheinbar einen Hang dazu, dass „alles so sein soll, wie es immer war“. Alles Neue wurde stets mindestens mit Skepsis betrachtet, wenn nicht sogar verdammt:

Diese Beispiele zeigen, dass neue Ideen in der Vergangenheit häufig zuerst als Bedrohung für die aktuell existierende Ordnung angesehen wurden. Doch nach und nach haben sich die Menschen daran gewöhnt und heutzutage sind viele dieser Erfindungen nicht mehr wegzudenken.

Hier kann man die Frage stellen, ob Neuerungen, die heute noch als Störung der Ordnung empfunden werden, morgen nicht schon etabliert und akzeptiert sein könnten.

Wir Menschen sind entwicklunggeschichtlich darauf gepolt, Neues erst einmal als Bedrohung anzusehen, die Herausforderung ist also groß.

Dennoch könnten wir uns bewusst machen, dass die meisten Ängste vor neuen Technologien unnötig waren:

Die Evolution konnte nur so verlaufen, wie sie verlaufen ist, weil sich unsere Vorfahren neuen Ideen gegenüber offen gezeigt haben. Bestimmt auch nicht von Anfang an, denn das liegt ja nicht in der menschlichen Natur. Aber irgendwann wurde das Potenzial erkannt und das Neue war nicht mehr eine Bedrohung der gewohnten Ordnung.

Es geht auch gar nicht darum, die bestehende Ordnung komplett zu verwerfen, sondern darum, im Denken, flexibel zu bleiben und die Ordnung dort zu erweitern und zu ergänzen, wo sie ins kontraproduktiv zu kippen droht.

Manchmal scheint es mir, als würde unsere Sehnsucht nach Sicherheit und Ordnung uns daran hindern, das Leben wirklich zu erleben.

Denn wer weiß, wohin uns die verschlungenen Wege der Unordnung führen, wenn wir uns auf Sie einlassen? Möglicherweise würden wir Lebenswege entdecken, die so erfüllend sind, wie wir uns das in der Begrenztheit der Ordnung nicht mal ansatzweise vorstellen können.

Das erfordert Mut. Mut, sich mit dem Unbekannten auseinanderzusetzen und sich auf neue Situationen einzulassen.

Es bedeutet auch, tolerant gegenüber anderen Meinungen und Wegen der Lebensgestaltung zu sein,- besonders, wenn sie unserer eigenen Ordnung widersprechen.

Je dichter die Welt zusammen rückt und die Globalisierung zunimmt, wird es immer wichtiger, Ordnung neu definieren und Unordnung akzeptieren zu können.
Wir sollten einen Mittelweg finden, der die sinnvolle Ordnung bestehen lässt und gleichzeitig offen für die immerwährende Evolution des Lebens ist.

Letztlich sind Ordnung und Unordnung, lediglich zwei Seiten der selben Medaille:

Ordnung bietet uns Stabilität und Sicherheit und Unordnung sorgt mit kreativem Chaos und Denken außerhalb der Komfortzone für innovative Ideen, Weiterentwicklung und Wachstum. 
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden ist entscheidend für eine gesunde Entwicklung – sowohl im persönlichen als auch im gesellschaftlichen Kontext. 

Im Spannungsfeld zwischen Unordnung und Ordnung den ausbalancierten Punkt zu finden, an dem das Bedürfnis nach Weiterentwicklung und das nach Sicherheit nebeneinander existieren können – das ist das Ziel.

Unordnung - kreatives Chaos - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologischer Berater, Psychotherapeut (HeilprG) in Hamburg
Foto: © Degimages / Adobe Stock

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