Mit einem blauen Auge – Wie eine Familie durch Destabilisierung beinahe zerbrach

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Destabilisierung - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologischer Berater, Psychotherapeut (HeilprG) in Hamburg

Eine ganz normale, unperfekte Familie

Natürlich waren sie keine perfekte Familie, aber wer kann das schon von sich sagen? Doch wenn man sie von außen betrachtete, konnte man mit Fug und Recht behaupten: Die kriegen das ganz gut hin.

Wer „die“ sind? Anna und Thomas, beide Mitte 40, Patchwork-Eltern. Anna hat zwei Kinder mit in die Ehe gebracht: Max, 20 Jahre, und Jule, 14 Jahre. Gemeinsam haben Anna und Thomas noch einen Sohn – Leo, elf Jahre.

Eine verhältnismäßig gut funktionierende Patchwork-Familie, mit allem, was zum Familienleben dazugehört:
Es wurde – manchmal sogar laut – gestritten, und es wurde wieder versöhnt. Manchmal flossen Tränen. Manchmal löste sich alles in Lachen auf.

Jeder hatte seinen Platz, seine Rolle und seine individuelle Art der Lebensgestaltung. Der eine brauchte etwas mehr Chaos, der andere etwas mehr Ordnung. Doch das System hielt irgendwie immer.

Die Destabilisierung beginnt

Doch irgendwann kam Max mit Lena nach Hause. Lena, 20 Jahre alt, war sportlich, immer hellwach und hatte zu allem eine Meinung. Natürlich, sie war unbestritten charmant, aber sie neigte dazu, Dinge zu dramatisieren.

Dennoch war sie anfangs beliebt – sie war an der Familie interessiert und stellte einige Fragen. Sie brachte sich ins Familienleben ein. Manchmal kochte sie sogar für alle. Aber sie beobachtete viel, und sie urteilte schnell.

„Toxisch“ – oder einfach nur Alltag?

„Euer Umgang miteinander ist total toxisch“, sagte sie eines Abends, als sie Zeugin eines harmlosen Wortgeplänkels zwischen Anna und Thomas wurde.

„Wie meinst du das?“, fragte Anna, während sie den Tisch abräumte.

„Na ja … hör dir doch mal selber zu, wie du dich über seine Schlampigkeit aufregst. Kein Wunder, dass er dich dann ignoriert. Das ist doch ein typischer destruktiver Machtkampf. Sowas endet nie gut.“

Alle lachten – alle außer Lena. Die meinte das ernst.

Vom Misstrauen zur Spaltung

Von da an passierte es immer häufiger, dass Lena versuchte, kleine Konflikte aufzubauschen, und sie größer zu machen, als sie eigentlich waren.

Wenn Jule gegenüber Max mal patzig war, hielt Lena direkt ein Kurzreferat über „emotionale Gewalt“. Sie nannte Anna „übergriffig“, als sie sich bei Lena und Max nach deren Wochenendplänen erkundigte.

Einmal bekam sie ein Telefonat zwischen Thomas und einer alten Freundin mit.
„Da läuft was, das garantiere ich dir! Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum alle hier wegsehen“, teilte sie Max später ungefragt mit.

Lenas Verhalten, das am Anfang noch als belächelte Marotte durchging, wurde mehr und mehr zum handfesten Störfaktor.

Die Familie begann, sich anders zu verhalten. Sie wurden vorsichtiger und aufmerksamer. Jedoch nicht im guten Sinne – sie sprachen weniger offen, und es schwang immer ein schales Gefühl mit: Misstrauen! So begann eine stille, aber wirksame Destabilisierung, die keiner so richtig kommen sah.

Die Kindheit wird grau

Nach einiger Zeit kochte die Wut in Max über.

Lena hatte ihn nach und nach davon überzeugt, dass seine Kindheit eigentlich traumatisch gewesen sei – er hatte es nur nie gemerkt, weil es für ihn ja normal war.

Er wurde zum Ankläger. Wenn man lange genug sucht, wird man immer fündig: Mit drei Jahren hatte seine Mutter ihn einmal in Panik geschüttelt, weil er auf die Straße gerannt ist, und sein Vater konnte bei seinem ersten Auftritt in der Schulbigband nicht dabei sein.

Dies sind nur zwei von mehreren „Mikroverletzungen“, wie Max von Lena gelernt hatte. Die gezielte Erzählung seiner Vergangenheit durch Lenas Brille führte die begonnene Destabilisierung weiter. Mit dieser Sichtweise wirkte seine Kindheit nur noch grau, als wäre sämtliche Farbe aus der Erinnerung verschwunden.

Der große Knall

Und dann, eines Abends, kam der große Knall.

Max warf seiner Mutter an den Kopf, dass sie einen Kontrollwahn hätte, während Max’ Vater ihn anschrie: „Und du bist von diesem Mädchen geblendet! Schau hin, Max! Schau hin! Lena legt hier alles in Schutt und Asche!“

Daraufhin verließ Max türenknallend das Haus.

Der Riss, der erst nur kaum sichtbar war, ist durch die andauernden kritischen Äußerungen von Lena und die daraus resultierende Destabilisierung so groß geworden, dass er die Stabilität massiv gefährdet.

Die Stille danach

Die folgenden Wochen verliefen traurig.

Thomas und Anna schwiegen sich größtenteils an, Jule kam gar nicht mehr aus ihrem Zimmer heraus, und Leo begann wieder mit Bettnässen.

Die eben noch fröhliche, wenn auch nicht perfekte, Familie war am Boden. Es war der klassische Fall einer Destabilisierung: kein Sturm von außen, sondern eher ein schleichendes Gift.

Lena hatte mit ihren Mutmaßungen, Unterstellungen und Übertreibungen ganze Arbeit geleistet. Sie hat die Familie nie wirklich verstanden, glaubte aber, sie komplett durchschaut zu haben.

Die Rückkehr

Doch das wahrhaftige Leben lässt sich von Ideologien und falschen Behauptungen nicht unterkriegen.

Nach ein paar Wochen kam Max zurück.

Er kam nicht demütig und auf Knien zurück, aber es war ihm anzumerken, dass er bereute, was er gemacht hatte.
Lena und er hatten sich getrennt. Freundschaftlich, wie er sagte. Anna und Thomas fiel es schwer, das zu glauben. Aber sie wollten nicht weiter nachbohren.

„Mir ging es nicht sonderlich gut, nachdem ich hier abgehauen bin. Ich brauchte Abstand. Abstand von Lena und ihren …“, er suchte nach den richtigen Worten, „Manipulationen“, vollendete er den Satz.

„Es ist ja nicht so, dass alles gelogen war, was sie sagte. Das machte es ja so gefährlich, denn ich habe auch die Fehlinterpretationen und Dramatisierungen geglaubt.“

Wiederaufbau in kleinen Schritten

An dieser Stelle nahmen Anna und Thomas ihren Sohn Max in die Arme.
Anna ergänzte noch: „Ich glaube nicht, dass es ihr auch nur ansatzweise um uns ging. Ich glaube, sie wollte sich einfach nur wichtig fühlen. Wichtig und mächtig.“

Es dauerte noch mehrere Monate, bis das Familiengefüge wieder stabilisiert war. Aber es gelang. Nicht zuletzt deswegen, weil alle bereit waren, ehrlich miteinander zu reden, dazuzulernen und zu vergeben.

Außerdem hatten sie etwas Entscheidendes verstanden: Nicht jeder, der sich kritisch äußert, hat automatisch recht.

Und nicht jedes System, das nicht perfekt ist, muss automatisch krank sein.
Oft beginnt der Zerfall nicht mit einem Donnerschlag, sondern mit einer schleichenden Destabilisierung, der niemand rechtzeitig widerspricht.

Manchmal reicht ein bisschen Vertrauen in sich und in das eigene System.
Und die Fähigkeit, eigene Wege zu gehen – auch dann, wenn jemand von außen laut ruft: „Ihr macht das falsch!

Was man vielleicht daraus mitnehmen kann

Es ist gar nicht so leicht, in einer Welt voller Meinungen, Diagnosen und Selbsthilfezitate den eigenen Takt zu halten. Schon gar nicht, wenn jemand von außen kommt, der alles durchleuchtet und bewertet – obwohl er selbst gar nicht Teil des Ganzen ist.

Was in dieser Familie passiert ist, war eigentlich kein Drama. Es waren mehrere kleine Verschiebungen, die letztlich zu einem Kippen geführt haben. Aus einem Streit wurde ein Symptom, aus einem Familienmoment ein Fallbeispiel. Und plötzlich stand man nicht mehr im Wohnzimmer, sondern vor Gericht – mitten in einer schleichenden Destabilisierung.

Das passiert öfter, als man denkt. Auch jenseits des Esstisches. In Beziehungen, Teams, Nachbarschaften. Und manchmal sogar im größeren Maßstab, da draußen, wo Meinungen zur Währung geworden sind und Nuancen und Ambivalenzen zunehmend verdächtig wirken – und wo sich Destabilisierung nicht durch offene Gewalt, sondern durch Dauerkommentierung vollzieht.

Vielleicht ist das der Punkt: Nicht alles, was schief klingt, ist kaputt. Nicht jede Reibung ist ein Machtspiel. Und nicht jeder, der laut analysiert, hat automatisch den besseren Blick. Echte Nähe ist manchmal leise, dafür echter. Und wer mittendrin lebt, sieht oft mehr als der, der nur von außen schaut.

Wenn man das erkennt – in der Familie, in der Partnerschaft, im Miteinander allgemein – dann kommt man manchmal mit einem blauen Auge davon. Und das ist gar nichts Schlechtes. Es zeigt, dass man hingesehen hat. Und gemeinsam weitergehen kann.

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FAQ

Was versteht man unter „Destabilisierung“ im familiären oder psychologischen Kontext?

Destabilisierung beschreibt einen schleichenden oder plötzlichen Prozess, bei dem ein vertrautes System – wie etwa eine Familie, eine Partnerschaft oder ein Team – aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann durch innere Konflikte entstehen, oft jedoch auch durch äußere Einflüsse, die von Kritik, Manipulation oder Fehlinterpretationen geprägt sind. Besonders tückisch: Die Beteiligten bemerken den Prozess meist erst, wenn das Vertrauen bereits ins Wanken geraten ist.

Wie zeigt sich eine Destabilisierung in einer Familie?

Typische Anzeichen sind Misstrauen, Rückzug, Kommunikationsabbrüche und eine zunehmende Unsicherheit im Umgang miteinander. Oft werden alltägliche Spannungen plötzlich als Symptome „tieferer Störungen“ gedeutet – häufig ausgelöst durch übergriffige Deutungen von außen. Wenn einzelne Mitglieder beginnen, sich gegenseitig zu analysieren, statt zuzuhören, gerät das Familiensystem leicht ins Kippen.

Was unterscheidet gesunde Kritik von destabilisierendem Verhalten?

Gesunde Kritik hat das Ziel, Klarheit zu schaffen und die Beziehung zu stärken. Sie kommt meist aus einem empathischen, respektvollen Blickwinkel. Destabilisierendes Verhalten hingegen wertet ab, überhöht kleine Konflikte, bringt Unsicherheit ins System – oft ohne echtes Interesse an Lösung oder Verbindung. Es geht weniger ums Verstehen als ums Verunsichern.

Wie kann man sich vor Destabilisierung schützen – in Familie, Beruf oder Gesellschaft?

Indem man lernt, innere Sicherheit und Dialogbereitschaft zu pflegen. Wer bereit ist, Fragen zu stellen, statt vorschnell zu urteilen, schützt Systeme vor Spaltung. Dazu gehört auch: zu erkennen, wann eine Analyse nicht mehr der Klärung dient, sondern der Kontrolle. Vertrauen, Reflexion und der Mut zur Ambivalenz sind die besten Gegenmittel gegen jede Form von Destabilisierung.


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