Recht haben wollen

In Bezug auf Konflikte in Beziehungen und Ehen stehen häufig die Themen „Recht haben“ und „besser wissen“ im Zentrum.  Dies allerdings nicht auf einer rationalen und damit überprüfbaren Ebene, sondern auf einer emotionalen Ebene.
Und genau da beginnen viele Probleme.

Zieh dich warm an, mir ist kalt

Wir Menschen schließen nur zu gern von uns selbst auf andere. Das geschieht ganz ohne böse Absicht und geht trotzdem manchmal so weit am Ziel vorbei, dass mehr oder weniger tiefe Verletzungen zurückbleiben – zumindest auf Dauer.
Der Klassiker diesbezüglich ist der viel arbeitende Ehemann und Vater, der das Beste für seine Familie erreichen möchte – nämlich maximale wirtschaftliche Sicherheit.
Seine Frau hingegen fühlt sich  von ihm im Stich gelassen, weil sie den ganzen Tag mit dem Kind alleine ist und nicht die Unterstützung bekommt, die sie braucht.
Wenn sie ihrem Mann jetzt sagt: „Du kümmerst dich nur um die Arbeit und wir sind dir völlig egal.“ Könnte dieser Mann antworten: „Du spinnst! Das stimmt überhaupt nicht! Ich mach das doch alles nur für euch!“
Sie können sich sicherlich ausmalen, wie dieser Dialog weiter gehen könnte.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie schnell es gehen kann, dass nicht mehr das eigentliche Thema im Mittelpunkt steht, sondern es darum geht, wer Recht hat.
Ab diesem Punkt können beide nur noch verlieren.

Heilmittel Kommunikation

Es ist nicht wichtig, wer angefangen hat, sondern es ist wichtig, wer aufhört.

Natürlich ist auch der oben stehende kurze Dialog eine Form der Kommunikation,- allerdings ist er in mehrerlei Hinsicht destruktiv:

  • Du-Botschaften
  • Vorwürfe
  • Unterstellungen
  • Verteidigungen in Form von Gegen-Angriffen

Falls Sie jetzt denken, dass einer von beiden ja eigentlich doch Recht hat: Es ist ein Dialog und beide sind daran beteiligt, wenn dieser aus dem Ruder läuft. Auch ein „aber sie hat angefangen…“ ist wenig hilfreich, denn es ist nicht wichtig, wer angefangen hat, sondern wer aufhört.
Heilsame Kommunikation hat viel mehr mit genauem Zuhören zu tun, als damit, selbst zu reden und Argumente für seinen eigenen Standpunkt zu finden.

Wenn jemand mit Sommergrippe im Bett liegt und friert, hilft es ihm auch nicht, wenn ihm jemand sagt, dass er doch nicht frieren müsse, weil es ja 28 Grad Celsius warm sei.

Sie sehen: Empfindungen und Gefühle lassen sich nicht diskutieren. Wir können auf die Gefühle unseres Gegenübers nur eingehen oder sie nicht wichtig nehmen. Vom Gegenteil überzeugen können wir ihn jedenfalls nicht:
„Ich fühle mich von dir nicht ernst genommen.“ – „Das stimmt doch gar nicht!“
Das und ähnliches passiert leider häufiger, als Sie denken. Nicht selten werden negative Gefühlsäußerungen als persönlicher Angriff gewertet, was meistens eine Abwehrreaktion hervorruft.
Es ergeben sich also in diesem Fall folgende Schritte:

  1. negative Gefühlsäußerung
  2. Wertung als persönlicher Angriff
  3. Abwehrreaktion des Angesprochenen
  4. Partner fühlt sich dadurch weggestoßen
  5. vergrößerte Distanz
  6. Streit

Schöner und nervenschonender wäre es doch so:

  1. negative Gefühlsäußerung
  2. empathisches Mitfühlen
  3. Verständnis haben und zeigen
  4. Trost spenden
  5. mehr Nähe und engere Bindung
  6. gegebenenfalls gemeinsam Lösungen entwickeln

Vom Angriffs- zum Mitgefühl

Der Knackpunkt ist nach meiner Beobachtung in vielen Fällen der, dass wir dazu neigen, die Äußerung negativer Gefühle persönlich zu nehmen. Warum aber ist das so?
Nach meiner Erfahrung spielen besonders diese zwei Punkte hierbei eine Rolle:

  • die emotionale Nähe zwischen den Personen
  • der Zustand des eigenen inneren Kindes

Der erste Punkt ist relativ logisch: wenn uns jemand nicht nahe steht, kann er bei uns auch keine so große Tiefe erreichen, wie es beispielsweise der Partner oder die eigenen Kinder schaffen.

Was hat es aber mit dem inneren Kind auf sich?

Niemand von uns geht ohne Verletzungen und Schmerz aus der Kindheit durchs Leben:

  • wir fühlten uns zu wenig beachtet
  • wir fühlten uns ungenügend
  • uns wurde Verantwortung gegeben, die wir nicht tragen konnten
  • wir waren an allem und jedem Schuld
  • wir fühlten uns nicht liebenswert

Einige haben solche Situationen nur selten erlebt, für andere war das der Alltag. Entsprechend tragen manche Menschen größere Verletzungen in sich, während andere lediglich eine seelische Schramme davongetragen haben.
Während letztere sich in der Regel kaum ins Wanken bringen lassen, müssen die stärker verletzten meistens sehr viel innere Kraft dafür aufwenden, um ihre Fassade aufrecht zu erhalten und so den Alltag mit seinen unausweichlichen Konflikten meistern zu können. Sie befinden sich in einer permanenten Hab-Acht-Stellung, immer bereit, um mögliche Angriffe abzuwehren.
Ihre Grundeinstellung lautet also: „ich werde wieder verletzt werden und muss auf der Hut sein“.
Entsprechend dünnhäutig reagieren diese Menschen auf alles, was nur im Entferntesten ihren auf tönernen Füßen stehenden inneren Frieden stören könnte. Im Zweifel heißt es: „Alarm! Ich werde angegriffen“. An genau diesem Punkt entscheidet also sehr häufig, wie die Kommunikation weiter verläuft.

Ruhe bewahren – aber wie?

Ein dauerhaft entspannteres Leben wird sich durch eine stärkere Selbst-Annahme ergeben.
Akut können Sie bei Bedarf folgende Dinge tun, wenn Sie sich angegriffen fühlen:

  • atmen Sie tief durch
  • zählen Sie dabei bis 10

Damit verhindern Sie eine unkontrollierte spontane Reaktion

  • machen Sie sich dann klar, was Ihr Gegenüber wirklich gesagt hat. Handelt es sich wirklich um einen Angriff oder resultiert Ihr Gefühl aus Ihrer Interpretation?
  • Fragen Sie gegebenenfalls nach, wie er das gemeint hat
  • Äußern Sie Ihr Gefühl die jeweilige Situation betreffend. Zum Beispiel: „Das hat mich gerade verletzt“ oder „Ich habe Schuldgefühle“. Dann können Sie die Situation im Dialog aufklären anstatt sie weiter eskalieren zu lassen.

Jetzt können wir den emphatischen Weg des Mitfühlens und des Verständnisses gehen.

Gewinnen können Sie immer nur gemeinsam

Häufig bilden sich in Beziehungen zu anderen Menschen, und besonders in Partnerschaften, Machtkämpfe aus.
Das ist natürlich Gift, da aus dem eigentlich angestrebten Miteinander plötzlich ein Gegeneinander wird. Da kann es vorkommen, dass ein Partner als „Gewinner“ vom Feld geht und trotzdem verloren hat, weil der Partner sich nicht gesehen gefühlt und sich irgendwann verabschiedet hat.
Machen Sie sich bewusst, worum es Ihnen wirklich geht. Möchten Sie eine wahrhaftige Beziehung oder möchten Sie kämpfen?
Wenn Sie sich für die Beziehung entscheiden, dann springen Sie über Ihren Schatten und beenden Sie den Kampf. 

Rechthaberei - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater in Hamburg
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