Elterliche Dominanz

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„Gut gehalten“ oder „Babyface“?

„Du hast dich aber gut gehalten“ und „man sieht dir dein Alter gar nicht an“ sind zwei Komplimente für erwachsene Menschen, die jünger aussehen, als sie sind.
„Babyface“ und „Milchgesicht“ sind zwei Beispiele nicht schmeichelhafter Umschreibungen für erwachsene Menschen, die jünger aussehen, als sie sind.

Aber wo genau liegt der unterschied zwischen „Babyface“ und „du hast dich aber gut gehalten“? Welche der beiden Beschreibungen passt zu jemandem, der durch Dominanz der Eltern geprägt wurde?
Im zweiten Fall sieht man dem Menschen an, dass er erwachsen ist. Er hat vielleicht lediglich weniger Falten oder graue Haare, als man das bei einem Menschen seines Alters vermutet.
Im ersten Fall hat man häufig den Eindruck, es würde sich um einen noch gar nicht wirklich erwachsenen Menschen handeln. Häufig haben sogar die Gesichter noch kindliche Züge.
Passend dazu handelt es sich häufig auch um Menschen, die noch gar nicht richtig bei sich und im Leben angekommen sind. Häufig sind sie latent unzufrieden, wissen aber gleichzeitig nicht, was Ihnen genau fehlt. Das können die Folgen elterlicher Dominanz sein.

Elterliche Dominanz – ein ungewollter Jungbrunnen

Was ist die Ursache für diesen ungewollten „Jungbrunnen“?
Was mir immer wieder auffällt ist folgendes:
Häufig konnten sich diese Menschen in Kindheit und Jugend nicht richtig entfalten und sich selbst kennenlernen.
Doch was braucht ein Kind beziehungsweise ein Jugendlicher, um sich entfalten zu können?
Wenn man sich entfalten möchte, dann braucht man den Raum, das auch tun zu können. Analog zur Pflanzenwelt braucht man als Baum zum einen genügend Raum für seine Wurzeln und zum anderen genügend Raum, um auch seine Krone entsprechend entfalten zu können.
Nur so findet man zum einen ausreichend Halt, um sich zu voller Größe entfalten zu können.
Ist dies nicht möglich – mögliche Gründe hierfür werden weiter unten erörtert – dann wächst zwar ein Baum, aber lediglich ein Bonsai, ein Babyface.
Allerdings ist das weder beim Bonsai noch beim Menschen ein irreversibler Zustand:
wenn sie in der richtigen Umgebung den nötigen Raum zur Entwicklung und Entfaltung bekommen, dann lässt sich fast alles nachholen. Häufig geht zumindest bei Menschen die Entwicklung dann sogar ab einem gewissen Punkt steil nach oben – wie bei einer Exponentialfunktion.

Gründe für verzögertes Wachstum

Was kann dafür sorgen, dass ein Mensch in der inneren, und damit äußeren, Entwicklung hinterher hängt?
Nach meiner Beobachtung spielen dabei in erster Linie folgende Gründe eine Rolle:

  • Die Dominanz und Rigidität eines Elternteils, das „genau weiß“, was – auch für das Kind – richtig und was falsch ist. Meistens jedoch nur aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus, dafür jedoch häufig mit einer Allgemeingültigkeit versehen. (Bei Jungs spielt eher die Mutter eine Rolle, bei Mädchen eher der Vater)
  • Das Kind ist nicht „in Ordnung“
    Jedes Kind und jeder Jugendliche hat in seiner Entwicklung bestimmte Auffälligkeiten. Von Lispeln bis Bettnässen ist fast alles denkbar.
    Die Frage ist dann: wie geht man als Elternteil damit um?
    Vertraut man darauf, dass „es schon wird“? Oder hat man das Gefühl, immer sofort regulierend eingreifen zu müssen? Kinderarzt, Osteopath, Logopäde, Krankengymnast – all das sind Möglichkeiten, am „zarten Pflänzchen“ Kind korrigierend herumzuschnippeln.
    Vielleicht bekommt man so am Ende den perfekten Baum, der dann meist zu klein geraten ist.
  • Emotionale Abhängigkeit: wenn das Kind sich für das Glück der Mutter oder des Vaters zuständig fühlt und nur dann geliebt wird, wenn es diese „Aufgabe“ erfüllt, dann wird es sich selbst für einen glücklichen Vater beziehungsweise für eine glückliche Mutter (auf)opfern. In diesem Fall wären die Wurzeln nur rudimentär ausgebildet.
  • Emotionale Unsicherheit: ähnlich, wie die emotionale Abhängigkeit. Jedoch mit dem gravierenden unterschied, das im Gegensatz zur Abhängigkeit hier nicht klar ist, WIE das Kind die Mutter oder den Vater glücklich machen kann.
    Was gestern richtig war,,kann heute falsch sein. Das Kind hat also keine Klarheit darüber, wie genau es sich „richtig“ verhält.
    Häufig entwickeln diese Kinder sehr feine Antennen für die Bedürfnisse ihrer Umwelt, da sie sehr schnell auf feine Nuancen im Verhalten ihrer Eltern reagieren müssen.
    Auch als Erwachsene fällt es diesen Menschen häufig sehr schwer, zu sehen, dass es jemanden nicht gut geht.
  • Fehlendes emotionales Feedback der Eltern:
    Werden emotionale Äußerungen des Kindes zu wenig beachtet oder überbetont, verliert das Kind häufig das Vertrauen in die eigenen Gefühle.
    Entweder lernt es, das alles ein Drama ist oder es lernt, das alles belanglos ist.Lernt ein Kind, dass Aufmerksamkeit zu bekommen bedeutet, dass dramatisch oder panisch reagiert wird, so wird es immer mehr Dramen in seinem Leben kreieren, um die benötigte Aufmerksamkeit zu bekommen.
    Lernt es, dass Gefühle (die Eltern) stören, wird es versuchen, seine Gefühle nicht mehr zu fühlen, was mittel– oder langfristig in einer Depression münden könnte.

Auch beim Thema der elterlichen Dominanz spielt also Manipulation eine Rolle – wie beim Thema Narzissmus.

Eigene Wohnung – alles gut?

Analog zum Bonsai, der, wenn man ihn in der Natur einpflanzt, auch zu einem großen Baum heranwächst, könnte man denken, dass sich automatisch alles reguliert, wenn die Kinder bei den Eltern ausziehen und eine eigene Wohnung haben.
Das ist leider nicht ganz der Fall. Natürlich wird es sich im ersten Moment für die Kinder wie eine Befreiung anfühlen, eigenverantwortlich sein zu dürfen (und manchmal auch zu müssen). Wir können auch Gegenstände aus unserer Kindheit bei unseren Eltern zurücklassen,- unsere Prägung durch unsere Eltern und deren internalisierte Dominanz nehmen wir jedoch mit.
Die Grundlage für eine wirkliche Befreiung ist mit dem Auszug bei den Eltern beziehungsweise dem Elternteil jedoch gelegt. Denn nur so kann man sich dauerhaft von deren Dominanz befreien.

Nachreifen

Wie kann so ein Nachreifen vor sich gehen?
Ein Patentrezept gibt es diesbezüglich leider nicht.
Häufig gehen Betroffene zunächst soziale Interaktionen ein, die zu den durch elterliche Dominanz erlernten Verhaltensmustern passen.
Man sucht sich einen Partner, der innerlich den Platz von Mutter beziehungsweise Vater einnehmen kann. Man sucht sich einen Freundeskreis, in dem man eine ähnliche Position einnehmen kann, wie in seiner Herkunftsfamilie.
Das macht man nicht aus Dummheit oder gar aus Absicht, das passiert unbewusst, weil man im außen immer das sucht, was zu seinem eigenen inneren passt.
Es gibt auch Menschen die wechseln Partner und sogar ganze Freundeskreise mit einer gewissen Regelmäßigkeit, jedes Mal in dem Glauben, endlich am richtigen Platz angekommen zu sein.
Häufig fühlt es sich im ersten Moment für diese Menschen auch genau so an, als würde alles passen. Denn es kommen zwei Dinge zusammen: alles neue ist erst einmal spannend und nicht vorbelastet,- und: das eigene Unbewusste hat natürlich wieder Menschen gesucht, die zum eigenen Inneren passen.
Ein wirkliches Nachreifen hat also nichts mit einem Ändern der äußeren Gegebenheiten zu tun, sondern beginnt immer in einem selbst.
Allerdings suchen Menschen in dieser Situation eher selten therapeutische Hilfe, sondern wenden sich – wie immer – an die Menschen, an die man sich schon immer gewandt hat: Vater und Mutter.
Erst wenn nach beispielsweise zwei gescheiterten Beziehungen oder einem ewigen Straucheln im Beruf das Bewusstsein dafür wächst, dass die eigenen Eltern nicht mehr diejenigen sind, die wissen, was richtig oder falsch für einen ist, dann fängt man an, auch in der Tiefe zu verstehen, dass man für sich alleine verantwortlich ist.
Das ist häufig eine sehr schmerzhafte Phase und wir werden wahrscheinlich erst einmal auf bekannte Verdrängungsmechanismen zurückgreifen: Ablenkung in allen Varianten. Partys, Netflix, Arbeit, Dating, Essen oder auch Alkohol oder Drogen.
Das kann eine Zeit lang im Sinne der Verdrängung funktionieren.


Wenn wir dann unseren Schmerz dafür nutzen, uns Unterstützung zum Beispiel in Form therapeutischer Hilfe zu suchen, dann haben wir die ersten Schritte auf unserem Weg des Wachstums getan. Anfangs geht man meist sehr unsicher und ihr langsam auf diesem Weg, je mehr Wegstrecke man aber zurückgelegt hat, desto schneller und sicherer schreitet man voran. Man hat die Erfahrung gemacht, dass es auf dem Weg Hindernisse gibt und man hat die Erfahrung gemacht, dass man einen Weg findet, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und Selbstvertrauen wachsen mit jedem Schritt mehr.
Die Nachwirkung der in Kindheit und Jugend erfahrenen Dominanz lässt nach.

Was sie selber tun können

  • 10 Minuten warten, bevor man in die Ablenkung geht
  • in der Natur spazieren gehen und zulassen, was sich durch die gleichmäßige Bewegung ins Bewusstsein arbeitet – häufig tiefere Erkenntnisse.
  • (geführte) Meditationen
  • Arbeit mit dem inneren Kind
  • eigene Ablenkungsmuster identifizieren und sich immer wieder bewusst machen, dass man gerade dabei ist, seinen Schmerz weiter zu manifestieren
Bonsai durch Dominanz der Eltern - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater in Hamburgi
Bild von Luca Finardi auf Pixabay

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