Vor Verzeihen kommt Schreien

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Da es in meiner Praxis häufig um innere und äußere Konflikte geht, steht auch das Thema „Verzeihen“ öfter auf der Tagesordnung.
Natürlich ist es nicht zwingend notwendig, zu schreien,- die Überschrift soll nur darauf hinweisen, dass die eigenen Gefühle im Prozess des Verzeihens nicht unter den Tisch fallen beziehungsweise nicht unter den Teppich gekehrt werden sollten.

Konflikte

Die meisten Menschen lehnen Konflikte ab und versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Leider liegt es nicht in der Natur von Konflikten, einfach zu verschwinden.
In der Regel ist es so: Wenn Sie mit jemandem einen Konflikt haben, den Sie nicht ausfechten möchten, dann löst sich der Konflikt nicht in Luft auf sondern verlagert sich ins eigene Innere: man hadert mit sich, man macht sich selber klein oder bildet irgendwann psychosomatische Beschwerden wie Neurodermitis, Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn aus.

Verzeihen

Da viele Menschen froh sind, wenn Konflikte vorüber sind, ist der Wunsch nach einem Verzeihen häufig groß. Verzeihen wird allerdings manches Mal so verstanden, dass die Gefühle, die zu Konflikten und den Beteiligten gehören, unter den Teppich gekehrt werden, um den Konflikt zu beenden. Das führt aber nur dazu, dass die vorhandene Anspannung nur unterdrückt wird. Gelöst ist sie dadurch nicht.
Aus dieser Situation ergibt sich somit allenfalls ein Waffen stillstand – jedoch kein Frieden.
Um wirklich verzeihen zu können, ist es notwendig, die eigenen Gefühle in Bezug auf sich und auf andere zu klären.

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Vorhandene Gefühle und deren Klärung

Bei Konflikten treten erfahrungsgemäß die folgenden Gefühle auf:

  • Enttäuschung
  • Schmerz
  • Traurigkeit
  • Wut 
  • Angst

Allesamt Gefühle, die wir lieber loswerden möchten, als uns ihnen unnötig lange auszusetzen. Der Impuls, sie einfach unter den Teppich zu kehren, ist so naheliegend wie verständlich. Nur wirken Gefühle, wie oben bereits erwähnt, immer weiter, solange sie nicht geklärt und gelöst sind.
Wie genau lässt sich denn dieser Schritt vollziehen, der ein wirkliches Verzeihen erst ermöglicht?

Gefühle wahrnehmen 

Es klingt vielleicht banal, wenn ich das Wahrnehmen der eigenen Gefühle nenne. Aber gerade in emotionalen Stresssituationen fällt es vielen Menschen schwer, genau wahrzunehmen, was sie fühlen. Die meisten Menschen agieren dann zwar aus dem Gefühl heraus, also im Affekt. Das Gefühl an sich wird aber in der Regel wenig beachtet.
Deswegen empfehle ich, sich nach einer solchen Stresssituation die Zeit zu nehmen und sich zu fragen, welche Gefühle denn genau gewirkt haben. Das ist nicht immer ganz einfach, da Gefühle selten in Reinform auftreten.
Vielleicht haben sie in diesen Momenten Assoziationen zu vergangenen Situationen Ihres Lebens.
Sehen Sie sich in Ihrer Erinnerung als Kind in einer emotional belastenden Situation mit Vater oder Mutter?
Nehmen Sie auch das wahr, es kann kurzfristig dazu beitragen, Ihrem Konfliktpartner und sich selbst verzeihen zu können. Langfristig werden Ihnen solche Erinnerungen dabei helfen, das Bild von sich und Ihrem Leben zu komplettieren.

Gefühle ausdrücken 

Die eigenen Gefühle wirklich fühlen zu können, ist an sich schon eine Leistung. Aber Gefühle fühlen zu können, ohne ihnen Ausdruck zu verleihen, ist wie für eine Prüfung zu lernen und dann in der Prüfung nichts zu schreiben. Man ist zwar innerlich einen Schritt gegangen, im äußeren Leben verändert sich aber nichts.
Teilen Sie sich also mit – nach innen wie nach außen:

  • sagen Sie Ihrem Gegenüber, womit er Sie verletzt oder verärgert hat
  • Gestehen Sie sich und Ihrem Gegenüber gegebenenfalls ein, dass Ihre Reaktion nicht die eines Erwachsenen war, sondern in Art und Intensität die Ihres verletzten inneren Kindes. Hier können Sie auch erzählen, welche Situation aus Ihrer Kindheit angetriggert wurde.

Nun hat Ihr Gegenüber die Möglichkeit auf Sie zuzugehen und Ihnen wiederum seine Gefühle mitzuteilen.
Möglicherweise geht es so ein paar Mal hin und her, bis alles ausgesprochen und geklärt ist.
Bestenfalls haben Sie sich nun in aller Tiefe ausgesprochen, Ihren Gefühlen angemessen Raum gegeben und gegenseitig Verständnis für die Situation und die Position des jeweils anderen, aber auch für sich selbst erlangt.
Jetzt haben Sie den Moment erreicht, an dem es wirklich möglich ist, sich selbst und anderen zu verzeihen.

Positive Auswirkungen 

Für viele Menschen ist das sehr ungewohnt, wenn sie den Weg zum Verzeihen das erste Mal gehen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass ein konsequentes Praktizieren mehrere positive Konsequenzen mit sich bringt:

  • Stressreduktion
  • verständnisvoller Umgang mit sich und anderen
  • mehr Nähe und Geborgenheit 
  • weniger Abhängigkeit von anderen

Warum sollte ich mir selbst verzeihen?

Wir selbst sind unsere schärfsten Kritiker. Das bedeutet, dass wir den Teil unserer Bedürfnisse, den wir nicht verstehen, in der Regel ignorieren oder versuchen, uns bestimmte Wünsche oder Bedürfnisse auszureden.
Damit versuchen wir, den irrationaleren und emotionaleren Teil von uns – unser inneres Kind – mundtot zu machen.
Das bedeutet in vielen Fällen zum einen, dass wir die Tradition unserer Eltern fortführen und uns in einem funktionalen Modus halten wollen, zum anderen erschaffen wir auf diese Art und Weise einen inneren Konflikt zwischen uns und unserem inneren Kind.


Verzeihen lohnt sich immer! 

Vor Verzeihen kommt Schreien - Jan Göritz - Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater in Hamburg
Bild von Uschi Dugulin auf Pixabay

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